Kleine Schule des Karussellfahrens - Roman by Arno Geiger

Kleine Schule des Karussellfahrens - Roman by Arno Geiger

Autor:Arno Geiger
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Deutschland, Gegenwartsliteratur
ISBN: 978-3-446-26161-7
Herausgeber: Carl Hanser Verlag Muenchen
veröffentlicht: 2018-06-27T16:00:00+00:00


Niemand erkennt dich in Sainte = Ménehould

Sie können bleiben meine Herren. Wenn Sie sich jedoch zu amüsieren wünschen, dann nicht auf Kosten meiner Katze.

(Ludwig XV.)

— Hallo?

— Ich bin’s.

— Wer?

— Ich, Philipp Worovsky. Kennst du mich noch?

— Ich kann mich dunkel erinnern. Du warst vorhin am Telefon.

— Was du nicht sagst. Ihr habt Telefon? Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich zuerst angerufen.

— Gregor ist so und so nicht da.

— Macht nichts, ich bringe nur was vorbei. Soll ich’s vor der Tür abstellen und auf der anderen Straßenseite warten?

Begleitet vom Türschnurrer, der ein launisches Tier ist, strauchelst du ins Treppenhaus, wo dich das in den Dreiminuten=Lichtschalter eingelassene Lämpchen sofort daran erinnert, was du von Lu zu halten hast. Das Lämpchen wirkt mit der gleichen trübseligen Ausstrahlung. Und trotzdem zieht es dich an. Du machst Licht. Der Fahrstuhl liegt bereit, und mit gemischten Gefühlen, obwohl du den Gedanken angenehm findest, bald Wände um dich zu haben, befiehlst du dich in den achten Stock.

Während der Fahrt, die eine halbe Minute dauert, kaum länger, trägst du dem dringlichen Erfordernis, dir eine rührselige Geschichte zurechtzulegen, eine Geschichte, die geeignet ist, Lu Gelegenheit zu geben, in ihrem ansonsten unnützen Leben etwas Redliches zu tun, in aller Eile Rechnung. In Mitleid zerfließen soll sie, dir ihr letztes Hemd aufdrängen, wenn sie die Tragweite deines Elends erkennt, wenn deine glänzenden Augen zur Kontaktnahme mit den ihrigen schreiten, die pfützenbraun sind wie am Rand öder Straßen im Sommer nach einem unentschlossenen Platzregen von kaum zwei Minuten Temperament.

— Na, wie geht’s?

Lu begegnet dir zunächst mit dem eindrucksvollsten Schweigen, das man sich vorstellen kann. Sie steht in der halboffenen Tür, eine Hand an der Klinke, die andere am Türrahmen, mustert dich demonstrativ schlafzimmerblinzelnd, und du, du denkst, wo hat sie bloß diese Ringelsocken her, indes sie, nun wiederum, mit einer annähernd synchronen Kopfbewegung zum Muster der Socken, begleitet auch von einem nicht minderen und mißtrauischen Rümpfen, Rumpfkreisen der Nase (was aufblickend genauestens von dir registriert wird) auf den Koffer deutet, ob es sich darum drehe, um den Koffer: Unter anderem, doch zunächst, wenn sie nichts dagegen habe, rein in die gute Stube.

Sie knurrt, grundsätzlich mürrisch, aber dein Augenkollern, in das du nicht umsonst unerschütterliches Zutrauen setzt, macht sie gefügig. Sie tritt zur Seite, du an ihr vorbei, findest dich in der Diele wieder, die zugleich als Küche Dienst versieht. Ein Geruch von Katzenfutter liegt in der feuchten Luft. Du hast Durst, es ist schwül, die verwünschte Reise hat dich ermüdet.

— Was ist jetzt mit dem Koffer? Hast du da eine Million drin?

Lus Augen taxieren dich unruhig, skeptisch. Fast hat es den Eindruck, als spürte sie, daß an der Sache was faul ist. Also fragst du, ausweichend, wann Krie nach Hause komme, mit dem Effekt, daß sie das Kinn nach vor, die Mundwinkel abschätzend nach unten bugsiert, och, da habe sie keine Ahnung, warten lohne sich nicht.

Sie will dich wieder loswerden, schnellstens, diese Erkenntnis dämmert dir zu schmerzlicher Klarheit. Und der daraus resultierende dringende Handlungsbedarf stellt sich, gewohnheitsgemäß, als eine Verleitung heraus, sich in der Hast unzweckmäßiger Mittel zu bedienen.



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